Presse / Media
„Versicherung muss viel mehr Tinder sein“
18.09.2018
Im September kamen in Düsseldorf über 50 Digital-Experten und Interessierte aus den Versicherungshäusern zusammen, um Herausforderungen, state-of-the-Art Ansätze und Digitalstrategien zu teilen. Sich nur „im eigenen Saft“ zu bewegen, gibt bekanntlich nicht so viel her. Daher sollten Versicherer sich in Sachen Digitalisierung stärker an MyTaxi, Uber und AirBnB orientieren. Denn diese Unternehmen setzen digitale Maßstäbe aus Kundensicht.
Veranstaltet wurde das Forum Digitaler Vertrieb von AMC und .dotkomm, Gastgeber war diesmal die ARAG Versicherung. AMC-Geschäftsführer Stefan Raake moderierte gemeinsam mit .dotkomm-Geschäftsführer Ralf Pispers den Tag mit beiden integrierten Themenforen. Aus zahlreichen Vorträgen und Diskussionen haben wir folgende Essenzen extrahiert.
Einige Teilnehmer des Forums Digitaler Vertrieb (Foto: ARAG 2018)
Die Commerzbank ist das jüngste Beispiel, das deutlich zeigt, was passiert, wenn die Digitalisierung verschlafen wird. Sie muss den Leitindex des deutschen Aktienmarkts (Dax) verlassen, da sie schlichtweg als nicht mehr stark und wichtig genug eingeschätzt wird. An ihren Platz im Dax tritt die junge Tech-Firma Wirecard. Der Abstieg der Traditionsbank steht sinnbildlich für die Zeitwende in der Finanzbranche. Beim Thema Digitalisierung haben die Banken zehn Jahre verschlafen. Wird der Schulterblick auf die Versicherer ein ähnliches Bild zeigen?
Status Quo digitaler Vertrieb: Da geht noch was
Die Dynamik der Digitalisierung ist nach wie vor ungebrochen. Doch viele Unternehmen der Finanzdienstleistungsbranche kommen mit ihren Entwicklungs- und Innovationszyklen nicht in angemessener Geschwindigkeit hinterher. Die meisten Versicherer hecheln hinter ihren Kunden her. Da wo diese alles in ihrem jeweiligen Kanal und jederzeit haben möchten, kämpfen die Versicherer damit ihre Kanäle bestmöglich aufzusetzen. Das Ziel: Im Ökosystem ihrer Kunden eine Rolle spielen.
So finden sich vor allem Multikanalansätze, in denen zwar verschiedene Kanäle (Website, Social Media, etc.) bespielt werden, dies hingegen nur selten harmonisch. Echter digitaler Vertrieb geht über solche Ansätze hinaus und beschreibt zumindest funktionierende Omnikanalstrategien. Das heißt, dass alle Kanäle perfekt ineinandergreifen - kein nebeneinander von Kanälen, sondern ein Hand in Hand im Sinne der Kundenbedarfe.
Was Versicherer brauchen: Ein klares Zielbild!
.dotkomm-Geschäftsführer Ralf Pispers sieht für Versicherer in erster Linie die Aufgabe die verschiedenen Kanäle optimal zusammenzubringen. Dafür brauchen Versicherer vor allem ein klares Zielbild. Stattdessen herrscht in vielen Häusern „happy guessing“. Damit ist klar: Häufig fehlt ein strategisches Dach, um digitale Vertriebsinstrumente erfolgreich auf die Straße zu bringen.
Versicherer sind gut beraten, ihre digitalen Vorbilder in anderen Branchen zu suchen. Zu Benchmarks avancieren Digitalgrößen wie MyTaxi, Uber und AirBnB. Denn „Versicherung muss viel mehr Tinder sein als Formular“, so Ralf Pispers. D.h. einfach, direkt, persönlich(er).
Was Versicherer von Tinder und Co. lernen können?
Vor allem Leichtigkeit, Wesentlichkeit und Persönlichkeit. Das alles in perfekter Harmonie von Inhalten, Ansprache und Usabilty. Auch wenn die Versicherer sich zum Teil noch auf einem anderen digitalen Planeten wähnen – der Kunde ist längst weitergereist. Seine Erfahrungen und vor allem seine Erwartungen matchen derzeit nur in einzelnen Ansätzen mit den aktuellen Vertriebsangeboten von Versicherungen. Was ganz sicher nicht matcht: Klassische Formularschlachten im Abschlussprozess.
„Anrufen ist ja so 80er!“
Und auch die starke Selbstverständlichkeit des Serviceversicherers greift nicht mehr so ganz als Schutzargument gegen die nächste Stufe der Digitalisierung: Künstliche Intelligenz. Wenn die Vertriebspartner der Versicherer nicht digital befähigt (durch Schulungen und Coachings) und Kanäle nicht verbunden werden, dann ist der Algorithmus smarter. Sprich: Der Bot im Hintergrund bietet einem Kunden mehr Satisfaction als der Vertriebsexperte am anderen Ende der Leitung. Und auch das ist wörtlich zu verstehen. Viele Versicherer sehen das Telefon noch als einen optimalen Draht zum Kunden an.
Und was ist für Versicherungskunden eine Selbstverständlichkeit?
Sämtliche Kanäle, in denen sie sich zuhause fühlen. Das sind Facebook und Business-Netzwerke wie XING und LinkedIn – und zudem Alexa und Co. Ein perfekt ausgeloteter digitaler Vertrieb hat all diese Varianten nicht nur im Blick, sondern auch bestmöglich bespielt. Und bespielt bedeutet unter anderem die richtigen Inhalte für seine Adressaten kanalgerecht aufzubereiten. Dabei zählen Persönlichkeit und Relevanz – wenn der passionierte Hundebesitzer die Hundeversicherung über Facebook verkauft, dann ergibt das eine gelungene Mischung. Wer da an Volker Büscher von der Allianz denkt, liegt richtig: Herr Büscher war ein Teilnehmer des Forums.
Das heißt auch: Wer sich mit Einheitsbrei in den sozialen Medien oder auf Webseiten tummelt, der wird vor allem eins sein – fahl. Content ist nur King, wenn die Inhalte für die Adressaten relevant sind. Das stellt natürlich jene Versicherer vor große Herausforderungen, die wohlmeinend ihre Vertriebspartner mit Inhalten unterstützen möchten. Die gute Nachricht lautet: Auch Versicherer müssen nicht immer alles über ihre Kunden wissen, sie können diese auch mal fragen.
Als Ermutigung hält her: Vermittler, die das Thema Digitalisierung für sich zu nutzen wissen, sind definitiv erfolgreicher als jene, die Business as usual praktizieren.
AMC-Geschäftsführer Stefan Raake ist überzeugt: „Es gibt noch Luft nach oben in den digitalen Vertriebsstrategien der Versicherer. Und der ein oder andere Vertriebspartner hält es noch mit Fridolin Kiesewetter, dem Versicherungsvertreter aus den Tim & Struppi – Comics. Der ist mit Gürtel und Hosenträger unterwegs. Etwas mehr Risiko bei der Nutzung der digitalen Medien ist sicher nicht verkehrt.“
Ralf Pispers ergänzt: „Versicherer sollten ein klares Zielbild dafür entwickeln, wie sämtliche Kanäle auf die Digitalstrategie einzahlen. Mehr Mut ist nicht nur wünschenswert, sondern zwingend.“
Mehr zum AMC-Forum Digitaler Vertrieb: https://www.amc-forum.de/?webcode=1942
Das nächste AMC-Forum findet am 01.10.2019 statt.
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Stefan Raake, Diplom-Kaufmann, Jahrgang 1965. Studium an der Universität zu Köln mit den Schwerpunkten Marketing sowie Wirtschafts- und Sozialpsychologie. Seit 1995 im AMC-Netzwerk tätig, seit August 2010 als geschäftsführender Gesellschafter der AMC Finanzmarkt GmbH. Ende 1995 lancierte Stefan Raake erste Internet-Projekte für die Versicherungsbranche. Als Chefredakteur verantwortete er von 1995 bis 2005 Versicherungen.de und Finanzen.de. Fachautor, diverse Veröffentlichungen u .a. "Marketing Online" (Campus Verlag, das erste deutsche Buch zum Thema), "Web 2.0 in der Finanzbranche", "Versicherer im Internet", die Studie "Die Assekuranz im Internet” (Jährliche Auflagen seit 1996). Von 1996 bis 2007 Partner und Gesellschafter der itm IDEAS TO MARKET GmbH sowie viele Jahre Beirat der Digitalen Stadt Düsseldorf e.V., seit 2017 in der Jury des German Brand Award und seit 2020 Beirat im OMGV.
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Desirée Schubert, MBA sustainability Management an der Universität Lüneburg & Studium der Germanistik und Erziehungswissenschaften an der Universität zu Köln. Senior Consultant, PR-Managerin und Ansprechpartnerin des AMC zu Nachhaltigkeit (CSR). Für den AMC u.a. als Studienleiterin ("Die Assekuranz im Internet", "Verständlichkeit in der Assekuranz", "Nachhaltigkeit in der Assekuranz") und als Fachautorin tätig. Seit 2015 Netwerkpartner mit eigener Company, der Fährmann Unternehmensberatung GmbH.
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Ralf Pispers, Diplom-Betriebswirt, ist Director Business Development bei adesso. Das ehemalige Vorstandsmitglied der Framfab Deutschland AG (heute Lbi) und Framfab AB Stockholm ist ausgewiesener Experte für Online-Kommunikation mit einem starken Fokus auf die Versicherungs- und Finanzdienstleistungsbranche.
Angetrieben durch die Erkenntnisse des Neuromarketings sowie die Erfahrung aus jahrelanger Usability-Forschung entwickelt er eine neue Generation von kundenfreundlichen Internet-Lösungen. Seine Philosophie: Durch natürliche Online-Kommunikation maximale Response und Conversion erzielen. Der Autor der Fachbücher „Digital Marketing“, „Versicherer im Internet“ und „Neuromarketing im Internet“ lehrt als Dozent für Online- Medien an der Kölner Hochschule Fresenius.
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