Gegen den Fachkräftemangel: Ein Blick auf und aus der Versicherungsbranche
20.08.2024
Der Fachkräftemangel ist in der Versicherungsbranche ein ernsthaftes Problem, das sich in den kommenden Jahren voraussichtlich weiter verschärfen wird. Es ist bereits jetzt spürbar, dass viele ältere Mitarbeitende – gerade im Vertrieb und in den Agenturen - in den Ruhestand gehen. Nicht nur das führt zu einem verstärkten Bedarf an vor allem jungen Fachkräften.
Verschärfend kommt hinzu, dass es insgesamt an Fachkräften mit notwendigem IT-Know-how und technischer Expertise auf dem Arbeitsmarkt mangelt. So kommt es immer häufiger zu einem Mismatch zwischen den Anforderungen der Versicherer und den Qualifikationen der Bewerber*innen. Auch das negative Image, dass Versicherer gerade von jungen Menschen als konservativ und langweilig wahrgenommen werden, darf nicht außen vorgelassen werden.
Versicherer müssen also aktiv Maßnahmen ergreifen, um den Bedarf an qualifizierten Fachkräften zu decken und ihre Attraktivität als Arbeitgeber zu steigern. Entlang der folgenden 5 Thesen, lassen sich praktische Handlungsempfehlungen ableiten. Wir haben unterschiedliche Expert*innen aus dem AMC-Netzwerk nach ihrer Einschätzung gefragt.5 Thesen zum Fachkräftemangel aus Expert*innen-Sicht
These 1: Versicherer haben noch einiges zu tun, um Talente für den Vertrieb zu gewinnen, sie zu fördern und langfristig zu binden.
Empfehlung von Axel Schwarz, Experte für People Management
Versicherer sollten sich sehr bewusst machen, dass sie sich bei den Arbeitnehmenden bewerben und nicht umgekehrt. Das Ziel sollte eine langfristige Partnerschaft auf Augenhöhe sein - sowohl die erfolgreiche Ansprache von Bewerber*innen als auch das Halten qualifizierter Fachkräfte verlangen ehrliche Wertschätzung. Ein qualitativ hochwertiges Onboarding sowie hohe Gestaltungskompetenzen, Flexibilität der Arbeit und transparente Kommunikation tragen wesentlich zur langfristigen Bindung von Mitarbeitenden bei. Wichtig: Versicherer sollten frühzeitig beginnen, eine Reservebank an interessanten Kandidat*innen aufzubauen, nicht erst dann, wenn konkreter Bedarf vorherrscht.
These 2: Versicherer tun zu wenig, um ihr Recruiting systematisch an junge Menschen auszurichten
Empfehlung von Leander Sempell, Gen-Z und Social Media Experte
Die Kommunikation sollte wertschätzend, offen und ehrlich sein, im Recruiting stärken und soziale Medien gezielt nutzen. Dafür benötigen sie eine klare Strategie für TikTok, Instagram und LinkedIn. Auf den Karriereseiten sollte „mobile first“ gelten und schnelle Reaktionszeiten sollten selbstverständlich sein. Junge Menschen schätzen attraktive Praktikums-, Ausbildungs- und Werkstudentenstellen oder Trainee-Programme.
Um junge Talente zu halten, sollten Versicherer flexible Arbeitsmodelle, moderne Arbeitsplätze (Coworking, remote, Homeoffice) anbieten und aktiv eine inklusive Unternehmenskultur auf- bzw. ausbauen. Die Kommunikation sollte wertschätzend, offen und ehrlich sein, im Recruiting am besten als authentische Einblicke auf dem jeweiligen Kanal der Wahl. Netzwerkveranstaltungen, Afterworks und Karriere-Events eignen sich hervorragend, um junge Talente anzuziehen.
These 3: Versicherer tun sich schwer dabei neue Technologien anzuwenden und dadurch die effektive Arbeitszeit attraktiver zu gestalten
Empfehlung von Simon Moser, KI-Experte von muffintech
Statt immer mehr Ressourcen in die Suche neuer Mitarbeitender oder in das Outsourcing zu investieren sollten Versicherer mehr Ressourcen in das einführen neuer Technologien investieren, die Mitarbeitende entlasten und effizienter machen. Wichtig ist dabei, die Mitarbeitende von Anfang an mit einzubeziehen. Also bereits in die Definition von Use Cases und die Anpassung von Prozessen. Nur sie kann eine erfolgreiche Einführung von Technologien wie GenAI garantiert werden.
These 4: Versicherer nutzen zu wenig kollaborative Unterstützung
Empfehlung von Leon Kersten, AMC
Der Fach- und Arbeitskräftemangel ist in der Versicherungsbranche allgegenwärtig. Veranstaltungs- und themenübergreifend wird uns diese Tatsache regelmäßig von Marketing- und Vertriebsexpert*innen sowie aus dem Bereich HR gespiegelt. Es gibt viele Lösungsansätze, über die wir bereits berichtet haben: frühzeitige Planung, Social Media, KI und Digitalisierung. Jeder dieser Ansätze bietet großes Potenzial und kann Versicherern auf unterschiedliche Weise bei dieser Problematik unterstützen.
Als neutrales Netzwerk haben wir gemeinsam mit unserem Projektrat eine Lösung entwickelt, die einen anderen Aspekt des Fachkräftemangels adressieren soll: kurzfristige Unterstützung bei Projekten. Neben den bekannten Problemen besteht bei Versicherern ebenfalls der Bedarf, bei konkreten Projekten Unterstützung durch geschultes Personal zu erhalten – aber wie? Über den Projekt-Support können Versicherer eine anonyme Anfrage an die Dienstleistungspartner unseres Netzwerks stellen. Der anfragende Versicherer erhält anschließend die Angebote der Dienstleister und kann proaktiv in die Kommunikation gehen, um einen „perfect match“ zu finden.
Lösen wir dadurch eigenhändig den Fachkräftemangel? Vermutlich nicht, aber wir sehen den Projekt-Support als einen Teil des Puzzles, der Versicherern die Möglichkeit gibt, anonym und trotzdem spezifisch Unterstützung für ihre Projekte zu erhalten.
These 5: Versicherer müssen stärker digitale Recruiting Prozesse ausrollen!
Empfehlung von Sven Keese, Managing Partner bei disphere
Erfolgreiches Recruiting im Vertrieb erfordert eine möglichst vielfältige Ansprache potenzieller Bewerber mit überzeugenden Argumenten und an ihren Interessen orientierten Ansätzen. Die Studie "Erfolge digitaler Präsenz im Recruiting-Prozess" zeigt u.a., dass das Image der Versicherungsbranche i.B. auf die Akquise von „digitalen Talenten“ als „herausfordernd“ zu bewerten ist. Der Digital Recruiting Index zeigt darüber hinaus, wo Versicherer im Personalprozess nachrüsten sollten. Hier empfiehlt die Studie z.B. durch Performance-Marketing die Sichtbarkeit zu erhöhen, um neue Mitarbeiter gezielt frühzeitig zu erreichen.
Im Praxisbeispiel zeigte sich, dass es v.a. über eine persönliche Videoansprache gut gelingen kann, Bewerber mit zukünftigen Kollegen vertraut zu machen und wichtige Einblicke in das Unternehmen abzubilden. Das führte binnen drei Monaten zu 25 qualifizierten Bewerbungen und der Einstellung von zwei neuen Mitarbeitern.