Auch bei Vorständen zunehmend im Fokus: Nachhaltigkeit
01.03.2022
Prof. Dr. Riccardo Wagner (Fresenius Hochschule Köln) und Désirée Schubert (Fährmann Unternehmensberatung für Nachhaltigkeit) im Gespräch zu Nachhaltigkeit bei Versicherern.
Nachhaltigkeit geht nicht mehr weg! Das hört man ja seit einiger Zeit so oder so ähnlich immer wieder. Und ja, auch wir Experten sind überzeugt, wohlgemerkt schon sehr lange, dass Unternehmen sich damit befassen müssen. Selbst bei den Versicherern spürt man bisweilen einige Bewegung, die zurecht den Zusatz “strategisch” verdient haben.
Und das bringt dann auch die Vorstände auf den Plan. So ist es nicht verwunderlich, dass das AMC-Auftaktgespräch am 13. Januar 2022 ganz unter dem Motto “Nachhaltigkeit und Regulatorik” steht. Denn in Sachen Nachhaltigkeit, sorgt aktuell vor allem die Regulatorik für Rückenwind. Wer’s nicht ganz so positiv formulieren mag, der könnte auch vom “regulatorischen Druck” sprechen, der eine nachhaltige Transformation im - und über die - Finanzwirtschaft vorantreiben will.
Doch weg vom Druck! Prof. Dr. Riccardo Wagner von der Fresenius Hochschule Köln und Désirée Schubert von der Fährmann Unternehmensberatung für Nachhaltigkeit trafen sich für den AMC zum Gespräch. Es geht um Nachhaltigkeit als Wettbewerbsfaktor, integriertes Handeln und nachhaltigen Impact, der längst – auch von Versicherungskunden – gefragt ist.
Desiree Schubert (DS): Riccardo, wie genau müssen wir uns das vorstellen, wodurch wird Nachhaltigkeit zu einem Wettbewerbsfaktor?
Riccardo Wagner (RW): Vor allem natürlich durch massive Veränderungen in der Biosphäre, deren Auswirkungen bereits jetzt die Lebensgrundlagen auf diesem Planeten verändern. Auch wir in gemäßigten Klimazonen merken das bereits. Wir befinden uns hier auf einem Weg hin zu irreversiblen Schäden und auch das haben inzwischen viele Menschen verstanden und fragen zu Recht nach Ursachen und Verantwortlichkeiten. Unternehmen rücken da notwendigerweise mit ins Zentrum der Diskussion. DS: Das gibt uns zunächst ein gutes Gespür für das “Müssen, aus dem dann idealerweise ein “Wollen” wird. Für Letzteres spricht ja auch eine ganz aktuelle Umfrage des GDV. Die Ergebnisse zeigen, dass Verbraucher beim Abschluss von Versicherungspolicen zunehmend auf Klima- und Umweltkriterien achten werden. Demnach legt fast jeder zweite Bundesbürger besonderen Wert auf Versicherungspolicen, bei denen Klima- und Umweltaspekte beachtet werden. Insbesondere in der Altersgruppe 16 bis 29 Jahre spielt das Thema eine wichtige Rolle.* Vor allem der Umweltschutz beeinflusst immer mehr das Konsum- und Anlageverhalten (potentieller) Versicherungskunden. Und auch altersmäßig ist diese Zielgruppe für Versicherer natürlich besonders interessant. Da also der Markt für nachhaltige Versicherungsprodukte in den kommenden Jahren an Bedeutung gewinnen wird - leuchtet die Sache mit dem Wettbewerbsfaktor natürlich rasch ein. *repräsentative Allensbach-Umfrage im Auftrag des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV).
DS: Die Regulatorik sagt, dass alle (auch nahezu alle Versicherer) sich mit Nachhaltigkeit befassen müssen. Wird dann die Nachhaltigkeit nicht eher zum “New Normal”? Wie kann man sich dann noch damit hervortun, um einen Vorteil zu erzielen?
RW: Erstens, schön wär‘s, zweitens, nur schwer. Ich bin da ungern der Überbringer schlechter Nachrichten, aber ich denke, dass viele Menschen und auch Unternehmen, die Tragweite der notwendigen gesellschaftlichen Transformation noch gar nicht sehen. Das aktuelle „New Normal“ kann nur der Anfang sein. Dass viele das (noch) nicht so sehen, sieht man an der zweiten Frage nach dem USP. Wann hast du zuletzt eine Werbung ohne Nachhaltigkeit gesehen? Da muss man schon suchen. Machen die alle Nachhaltigkeit, wie es notwendig ist? Sicher nicht. Behauptet wird es aber. Es sieht so aus, als ob hier alle mit Volldampf am Werk sind. Aber, um erstmal bei der Frag zu bleiben, einen Vorteil haben nur die, die mit Blick auf ihren echten Einfluss, neudeutsch Impact, agieren und von der Marke bis zum Stakeholder-Prozess integriert vorgehen.
DS: Das mit dem Impact leuchtet ein, denn schließlich lässt sich an der Wirkung, die ich als Mensch oder Unternehmen erzeugen kann, auch mein Beitrag messen. Woran sonst? Ich bin davon überzeugt, dass viele Menschen schlichtweg erwarten, dass Unternehmen einen eigenen Umgang mit Nachhaltigkeit finden und auf ein verantwortungsvolles Wirtschaften hin wirken - das sollte weit entfernt von Wischiwaschi sein. Denn über das “Wissen”, dass Veränderung stattfinden muss, kommt nun immer stärker auch das “Spüren” hinzu. Nicht zuletzt durch Überschwemmungskatastrophen in der unmittelbaren Nähe, erleben die Menschen schmerzvoll, was es bedeutet, wenn Effekte der Klimakrise sich auswirken.
Diese Menschen sehen Unternehmen in der Pflicht, nachhaltig zu handeln. Und sie erwarten zumindest in Bezug auf die eigene Schadschöpfung, dass die Unternehmen Verantwortung übernehmen. Für mich ergibt sich daraus, dass wenig bis keine Negativauswirkung des geschäftlichen Handelns im Prinzip die Flatline wäre, über die es hinauszugehen heißt, wenn man sich wirklich und ernsthaft noch mit Nachhaltigkeit hervortun möchte (Stichwort “USP”). Und das wiederum hieße, dass Unternehmen überlegen müssten, wie sie über das eigene Geschäftsfeld hinaus Mehrwert für Gesellschaft und Planeten generieren könnten. Und damit meine ich nicht Spenden & Sponsoring….
RW: Genau. Wir brauchen Veränderung, die messbar und spürbar ist. Es reicht nicht den Hof zu fegen, sondern sich klar zu machen, welchen Einfluss man darauf hat, dass die ganze Stadt und das Land sauberer werden.
DS: Riccardo, du sprichst in deiner Ankündigung für das AMC-Auftaktgespräch mit den Versicherungsvorständen vom “Markeninneren” und von der “Magie der Marke”. Was steckt dahinter - und könnte Harry Potter was damit zu tun haben?
RW: Das kommt darauf an, was man mit Marke meint. Natürlich geht es auch um das Verinnerlichen. Ich würde aber sagen, dass Marke im Kern unglaublich praktisch und anfassbar ist. Die Marke legt das Fundament durch Spielräume, Spielregeln, Werte und Visionen für alle Beziehungen nach Innen und Außen. Stimmen diese Faktoren, wirkt es zwar magisch, ist aber genau genommen eher soziale Physik.
DS: Ich bin absolut - und ich denke du auch - der Überzeugung, dass Nachhaltigkeit ein Innovations- und Transformationsthema ist. Und dennoch spüre ich als Nachhaltigkeitsberaterin immer wieder diesen Drang zur Eile. Man müsste doch jetzt endlich mal eine Nachhaltigkeitsstrategie erarbeiten, idealerweise parallel zum Prozess der unternehmensweiten Strategieentwicklung. Am Ende will man dann, etwas überspitzt formuliert, alles in einen Topf werfen und die Mitarbeiter*innen informieren. Welche Erfahrungen machst du, Riccardo?
RW: Das Problem sehe ich auch, halte aber die oben angesprochenen Spielräume für ein größeres Problem. Zu viele Unternehmen sehen Nachhaltigkeit immer noch als ein Spiel auf einem anderen Feld, das man nur spielt, um irgendwem, im schlimmsten Fall nur dem Regulierer einen Gefallen zu tun. Es bleibt ein Spiel, bei dem mir jemand ein Stöckchen hinhält, dabei entscheidet, wie hoch ich zu springen habe und ich springe dann genau so hoch und oft, wie man es mir sagt. Klingt nicht nach gutem Management und sinnvoller Strategie? Ist es auch nicht.
Ich nutze hier gern die Metapher, dass Unternehmen in den „Fahrersitz“ kommen müssen. Wie erklärst Du Unternehmen, wie Sie Ihre Unternehmenskultur ändern müssen, damit am Ende wirklich eine echte Transformation herauskommt?
DS: Ha - das ist eine wirklich große Aufgabe. Denn was bitte ist denn alles “Kultur”? Irgendwie ist ja alles Kultur - die, die einfach gelebt wird - und die, die irgendwie mal systematisch gemessen wird. Immer wieder droht man durch die Ehrlichkeit, dass Nachhaltigkeit eben kein Sprint ist, sondern ein Marathon, dass es an großen Stellschrauben zu drehen gilt, potenzielle Kunden zu verschrecken. Die wissen dann irgendwann gar nicht mehr, wo man überhaupt anfangen soll. Wir beim Fährmann haben sehr gute Erfahrung gemacht, das ganze Spielfeld vom “Sollen” über das “Können” bis hin zum “Wollen” aufzuräumen. Wenn man das für sich sortiert hat, geht man seine ersten Schritte und schafft damit die Möglichkeit, in das eigene nachhaltige Wirken zu kommen.
Im Gespräch:
Prof. Dr. Riccardo Wagner ist Change & Communication Consultant/Researcher - Head of Media School, Professor for Marketing & Corporate Communications an der Fresenius Hochschule in Köln.
Désirée Schubert ist Senior Consultant, PR-Managerin und Nachhaltigkeitsexpertin für den AMC. Als geschäftsführende Gesellschafterin der Fährmann Unternehmensberatung GmbH berät und begleitet sie seit vielen Jahren Unternehmen bei ihrer Nachhaltigkeitstransformation.