Interview: Versicherer müssen sich genau jetzt mit Werten positionieren (Teil II)
06.06.2018
Der zweite Teil unseres Interviews mit Prof. Brink hat den konkreten Ansatz im Blick, wie Versicherer ihre Wertestrategie entwickeln können.
AMC: Wie könnte - für Versicherer im Speziellen - in Zeiten der Digitalisierung eine Werteorientierung aussehen?
Alexander Brink: Also zunächst einmal gibt es die (Rück-)Besinnung auf klassische Werte einer Versicherung. Solidarität, Zusammenhalt in der Gemeinschaft. Hier finden Sie viele Beispiele, die hiermit schon arbeiten. Interessanterweise spielen gerade bei den FinTechs wie Lemonade, friendsurance diese Werte eine Rolle.
Dann gibt es die Themen wie Restitution /Assistance und etwas neuer die Verlängerung der Wertschöpfungskette in den Bereich der Prävention. Die Baloise Gruppe war vor ca. 15 Jahren vermutlich eine der ersten im deutschen Markt und sie haben heute z.B. eine AXA, die das zu einem wichtigen Teil der Strategie erklärt hat.
Am spannendsten sind sicher die neuen Themen, die sich unmittelbar aus der Digitalisierung ergeben. Hier fordert der Markt doch fast schon zwingend einen „weißen Ritter“ in dem Bereich digitale Selbstbestimmung und Privacy.
Das sind drei grundlegende Bereiche, in denen Versicherer sehr gut, starke Wertepositionierungen finden können. Nur um Missverständnissen vorzubeugen: Es ist keine gute Strategie, damit schlechte funktionale Performance bemänteln zu wollen. Eine Wertepositionierung muss mit guten Funktionalitäten einhergehen und die Weiterentwicklung von Funktionen sollte auf die Werteebene einzahlen.
AMC: Sie beraten und unterstützen ja mit der concern GmbH Unternehmen bei der Entwicklung ihrer Wertestrategie. Nehmen wir an, ein Unternehmen der Versicherungsbranche möchte sich hinsichtlich seiner Werte positionieren? Was empfehlen Sie – wie gehen Sie vor?
Alexander Brink: Der Blue Ocean wird gerade erst befahren. Pioniere positionieren sich, Mutige machen den ersten Schritt. Man erinnert sich manchmal an die Entdeckung Australiens: Der Seefahrer James Cook nannte sein erstes Segelschiff „Endeavour“. Es gibt typischerweise eine von vier Initialzündungen für einen solchen Aufbruch in den Blue Ocean der Werte:
1) Neue regulatorische Anforderungen erzwingen eine Umgestaltung von Prozessen. Gibt es damit nicht Chancen für neue Positionierungen?
2) Neue technische Möglichkeiten eröffnen ganz neue Zugänge im Kundenkontakt – sind damit nicht kritische Wertefragen verbunden? Gibt es eine echte Mehrwert-Strategie für deren Entscheidung?
3) Neue Partnerschaften oder Geschäftsbereiche (die solche Wertekritischen Geschäftsprozesse beinhalten) stehen an – passen wir zusammen? Oder droht ein Cambridge Analytica Szenario?
4) Es wird nach einer neuen zukunftsfähigen Strategie gesucht.
In all den Fällen sollte man sich nach unseren Erfahrungen erst einmal pragmatisch über die Chancen, die Risiken und damit auch über den Scope der Betrachtungen klarwerden. Mit großer Strategie zu starten ist toll, aber häufig brauchen die Themen auch einen „Graswurzel-Ansatz“, also ein organisches Wachstum aus Einzelfragen heraus. Es nutzen hier keine hochphilosophischen Erklärungen, Beratung muss zum Punkt kommen und Lösungen für den Kunden anbieten. Daran wird sie gemessen.
Wer damit beginnen möchte – wir haben gute Erfahrungen mit einem dreistufigen Workshop-Prozess gemacht:
1. Core-Values: Was sind die Kern-Werte aus ihrer Historie und in ihrem Geschäftsmodell?
2. Shared Values: Wo liegen Chancen auf neue Lösungen gesellschaftlicher Anliegen?
3. Promised Value: Wie sind solche Werte heute und perspektivisch vermarktbar?
Wenn Sie diese Fragen in einem gut besetzten Managementworkshop und flankiert mit ein bisschen Marktforschung (u.a. bezüglich gesellschaftlicher Strömungen, Meinungsbildung kritischer Gruppen wie z.B. Verbraucherschützern und Generation Y) durchgehen, kommen sie schnell zu einem adäquaten Vorgehensmodell zur Kartographierung des Blue Ocean der Werte.
AMC: Vielen Dank für das Interview.
Autoreninformation: Prof. Dr. Dr. Alexander Brink, geb. 1970 in Düsseldorf, ist Professor für Wirtschafts- und Unternehmensethik an der Universität Bayreuth und Gründungspartner der concern GmbH, eine auf Corporate Governance, Responsibility und Sustainability spezialisierte Unternehmensberatung mit Sitz in Köln und Bayreuth.