Fragen und Antworten zur Digitalisierung:
Die AMC-Geschäftsführer Dr. Frank Kersten und Stefan Raake im Gespräch
19.03.2015
Wie verändert Digitalisierung das Kundenverhalten und die Vertriebsmodelle in der Versicherungswirtschaft? Dieses Interview erschien in ähnlicher Form in zwei Teilen in "Versicherungswirtschaft heute" im März 2015.
Wie verändert Digitalisierung das Kundenverhalten und die Vertriebsmodelle in der Versicherungswirtschaft bzw. was bedeutet die zunehmende Digitalisierung für den Vermittler und Makler?
Dr. Frank Kersten: Portale, Webseiten und Aggregatoren greifen einfaches Versicherungsgeschäft zunehmend online ab. Dies ist sicherlich für Vermittler kritisch, die einfaches Versicherungsgeschäft produktbezogen verkaufen. Aus meiner Sicht ergibt sich für andere Vermittler jedoch auch die Möglichkeit, durch eine Spezialisierung auf Zielgruppen und deren umfängliche Beratung neue Potenziale zu realisieren. Wenn der Kunde dann beim Vermittler ist, wird es einen Wandel in der Kommunikation geben. Die Zugangswege zu Informationen sind heute vielfältig und einfach. Kunden werden immer häufiger gut informiert ins Gespräch mit dem Vermittler gehen. Der Vermittler ist also nicht mehr der alleinige Wissensträger und Experte. Für Vermittler bedeutet das eine Änderung in ihrem Kommunikationsverhalten. Sie sollten bereits frühzeitig den Informationsstand der Interessenten erkennen und situativ darauf eingehen. Hier ist aktives Zuhören gefragt –dies ermöglicht dem Vertrieb auch, von einer reinen Produktsicht hin zu einer umfänglicheren Beratung zu kommen.
Stefan Raake: Die Digitalisierung bietet dem Vermittler hervorragende Möglichkeiten, seinen Kunden besser zu kennen und auf seine Bedürfnisse kompetent zu reagieren. Ist er mit seinem Kunden beispielsweise bei Facebook oder Xing vernetzt, kann er sich dort ggf. über Veränderungen (Heirat, Hausbau, Autokauf), die vertriebsrelevant sind, informieren – wenn der Kunden diese Informationen preisgibt. Und dann kann der Vermittler unaufdringlich sein Beratungsangebot offerieren. Das funktioniert sehr gut, wie wir aus Schulungen und Gesprächen mit Vertriebspartnern wissen.
Von welchen Trends in der Digitalisierung können Vermittler und Makler profitieren?
Dr. Frank Kersten: Vermittler stellen ihre eigene Marke vor Ort dar. Ich bin nicht bei der „Augsburg Rosenheimer“ versichert, sondern beim „Schmidt an der Marktallee“. Vermittler haben heute viele Möglichkeiten zur Selbstvermarktung, die sie leider noch nicht voll nutzen. Jeder sollte heute eine digitale Visitenkarte – sprich Webseite - haben. Und diese mit relevantem Content aus seinem lokalen Umfeld befüllen. Sich darüber hinaus auch in einem Videoporträt vorstellen. Und seine Expertise in seinem sozialen Netzwerk posten und dort auf relevante Ereignisse reagieren. Vermittler haben durch die Digitalisierung also viele neue Möglichkeiten, sich als Experte und Spezialist für bestimmte Zielgruppen zu profilieren – mit dem großen Vorteil, als Mensch vor Ort für andere Menschen da zu sein.
Stefan Raake: Hier sind die Versicherer als Partner der Vermittler und Makler gefordert. Es gibt hervorragende Dienstleister, die hier umfangreiche Services anbieten, mit denen die Versicherer ihre Vermittler und Makler (noch) glücklich(er) machen können.
Werden Policen künftig noch über Vermittler und Makler verkauft? Wie müssen sich die Vermittler und Makler anpassen?
Dr. Frank Kersten: Ein ganz klares Ja: Der Vermittler wird weiter wichtig sein und sogar an Wichtigkeit gewinnen. Zu viele Informationen führen häufig zu Ungewissheit: Ich weiß, dass ich nichts weiß. Hier brauche ich den Experten, der mir weiterhilft. Gute Vermittler werden das erkennen, ihr Zielgruppenverständnis weiter ausbauen und durch Beratungsqualität und Vertrauen erfolgreich sein.
Inwieweit haben aus Ihrer Sicht das Internet als Vertriebs- und Kommunikationsplattform sowie der Appetit neuer Anbieter (Vergleichsportale, Automobilhersteller etc.) die Profite der Versicherer und Vertriebe schon verändert? Auf was müssen sich die Versicherer bzw. Vermittler noch einstellen?
Stefan Raake: Vergleichsportale – insbesondere Check24 - machen aktuell einen Großteil des Online-Geschäfts. Und das bleibt schwierig für die Versicherer. Der ein oder andere mag das noch als eigenes Online-Geschäft definieren – aber seien wir ehrlich: Check24 ist die Marke, die Versicherer haben hier einen schweren Stand in der Kundenwahrnehmung.
Dr. Frank Kersten: Die Versicherer müssen nicht die Konkurrenz aus der eigenen Branche fürchten. Das Geschäft kennen sie, teilweise schon seit mehr als hundert Jahren. Worauf die Branche reagieren muss, sind die kleinen, flexiblen Newcomer und die großen digitalen Player mit ihrer unglaublichen Marktmacht. Hier gibt es aus meiner Sicht zwei Extremszenarios, die Wahrheit wird sich wahrscheinlich irgendwo dazwischen abspielen. Entweder die Assekuranz verkümmert zu einem reinen Produktpartner, der die Googles, Facebooks und Amazons dieser Welt beliefert. Oder die Versicherer schaffen es, ihre Positionierung durch die vorhandenen Assets – und hier sehe ich insbesondere die regionalen Vertriebsstrukturen – und eine auf Kundenbedürfnisse angepasste Erweiterung ihrer Leistungen zu festigen.