Google, Amazon, eBay & Co - Laufen die Internetgiganten Versicherern den Rang ab?

20.02.2015

Google erhitzt die Gemüter: Springer-Chef Döpfner und Sparkassen-Präsident Fahrenschon reagierten empört, Versicherungsportale üben Kritik: Der Internetgigant bevorzuge bei Suchanfragen seine eigenen Dienstleistungen gegenüber Angeboten von Konkurrenten, er verzerre den freien Wettbewerb und stelle eine Gefahr für die Selbstbestimmung von Kunden dar. Was das Unternehmen, aber auch andere e-commerce-Firmen wie eBay oder Amazon zu bieten haben, stimmt hiesige Dienstleister mulmig.

Mit Google Wallet oder Paypal lässt es sich leicht im Internet zahlen, Tarifvergleiche sind mit Google Compare möglich, ausgewählte Angebote von Versicherern gibt es mit Google Protect. Mit Google AdWords können Werbetreibende Anzeigen schalten, die sich an den an Suchergebnissen von Google orientieren. Mit Hilfe von Tools zur Zielgruppenanalyse könnte man bei Google „alle 27 mobilen, kaffeetrinkenden, reiseunfreudigen, weiblichen Urban-Professional-Berlinerinnen zwischen 30 und 40 mit einem Hauptschulabschluss und mehr als 4.000 Euro Einkommen, die am liebsten Sat1 gucken, buchen, sollte man ihnen etwas Spezielles anzubieten haben“, wie es Autoren des Magazins DE:BUG* in einem Artikel über Google AdWords so schön überspitzt formulierten. Und die Schreiber kennen auch das Erfolgsgeheimnis des Konzerns: „Das Prinzip ist: Finde die Werbung, die dich ansprechen könnte, weil du nach bestimmten Inhalten suchst. Der Rest der Industrie funktioniert meist anders herum.“ Genau. Und das ist auch das Problem, welches Versicherungs-, Finanz- oder Medienbranche mit den Internetgiganten haben.

Die Spezialität von Google, aber auch Amazon oder eBay, ist die Möglichkeit, massiv große Datensätze zu speichern und auszuwerten – und die entsprechende Philosophie dahinter. So lautet der erste Grundsatz der Unternehmensleitsätze von Google: „Der Nutzer steht an erster Stelle, alles Weitere folgt von selbst.“ Dieser Maxime ordnet sich alles unter: die schlichte Benutzeroberfläche, das Anzeigen relevanter Inhalte (selbst in der Werbung), Schnelligkeit oder die Idee, niemandem durch das eigene Geldverdienen zu schaden. Konkret gestaltet Google die „Demokratie im Internet“ mittels des PageRank™-Algorithmus. Damit analysiert das Unternehmen, welche Websites von anderen Seiten im Web für gut befunden wurden. Die Nutzer bestimmen ihr eigenes Angebot.

Die Versicherungsbranche sollte die neuen Player ernst nehmen

„Wer mitbekommen hat, wie schnell andere, vermeintlich „sichere“ Branchen von neuen digitalen Anbietern und Angeboten überrannt wurden, ist gut beraten, die Herausforderungen der neuen Player ernst zu nehmen“, warnt Stefan Raake, Geschäftsführer des Branchennetworkers AMC Finanzmarkt GmbH. „Die Musik- und auch die Tourismusbranche sind ja nur zwei Beispiele, die völlig anders aussehen als noch vor fünf Jahren. Und gegenüber Check24 als Vergleichsportal fällt den Versicherern derzeit wenig ein, als bei Check24 mitzuspielen. Im Kfz-Bereich läuft da ordentlich Geschäft. Vom Angebotsvergleich zum selber anbieten bzw. selber machen, ist es ja nur ein kurzer Weg. Das Bewusstsein für diese Herausforderungen für die Branche ist bei den meisten Versicherern sicher da, die „richtigen“ Antworten wohl noch nicht“, so Raake weiter.

Nun, die Branche erkennt das Potenzial, welches bei den Internetfirmen schlummert. „Die Risiken werden latent gesehen. Sowohl nationale als auch internationale Wettbewerber können in den Markt eindringen. Einerseits als konkurrierende Produktgeber, andererseits aber auch als Alternative bei den Vertriebswegen. Als Produktgeber sind sie zur Zeit nicht direkt erkennbar, da ihre Aktivitäten sich nur zum geringen Teil auf den deutschen Markt ausrichten. Im Vergleich zum Bankensektor sind die Einstiegshürden bei Versicherungen wahrscheinlich auch höher“, meint Ferdinand Kuhnen, Stellvertretender Abteilungsleiter Marketing der Provinzial Rheinland Versicherung AG.

Nichtsdestotrotz weiß man auch um die eigenen Stärken: „Google, Amazon & Co verfügen über starke digitale Marken und beherrschen das Sammeln sowie die systematische Auswertung großer Datenmengen zur gezielten Ansprache von Kunden. Vor diesem Hintergrund verfügen die genannten Marktteilnehmer über einen wesentlichen Differenzierungsfaktor im Wettbewerb und können dabei als Konkurrenz aber auch als Kooperationspartner auftreten“, so Ralf Wechsler, Leiter der Vertriebsentwicklung bei HDI Versicherungen. Dennoch bleibt die Frage, wie sie agieren: „Sehr fraglich ist es allerdings, ob Google, Amazon & Co die klassischen Kerngeschäftsfelder der Versicherung betreten wollen oder sich als Kooperationspartner in der Distribution positionieren“, so Wechsler.

Baustelle für Versicherer: Verständlichkeit, alternative Produkte und Vertriebswege

Versicherer können Produkte an den Kundenbedarf anpassen. Komplizierter kann es allerdings bei sehr individuellen Lösungen werden. Nicht deshalb, weil es diese Lösungen nicht gibt, sondern weil es für Kunden schwieriger ist, sie zu bekommen. Kunden werden darauf mitunter nicht aufmerksam, es sind eine spezielle Beratung, zusätzliche Module, Vereinbarungen oder ein komplexes Antragsverfahren notwendig. Weitere Steine legen sich die Gesellschaften dadurch in den Weg, dass sie zum Teil unverständliche Versicherungsbedingungen oder Produktinformationsblätter herausgeben. Diese sind geprägt von vielen Fachbegriffen, zusammengesetzten Wortungetümen, unnötigen Passivsätzen und Nominalstil.**

Auch würden Kunden sich oft fragen, warum sie massenhaft Dokumente unterzeichnen müssen, bevor sie eine Police erhalten, gibt John Nichols, u.?a. Präsident der National Association of Insurance and Financial Advisors (NAIFA), zu bedenken. Nutzer seien Möglichkeiten wie „one-click-buying“ von Amazon gewöhnt. Daran angelehnt entwirft beispielsweise das amerikanische Online-Portal für Kranken- und Lebensversicherer LifeHealthPro das Versicherungsgeschäft der Zukunft, Amazon „Alife“: Man stelle sich vor, Familie X bekommt ein Kind, macht es bei Amazon publik und wird automatisch gefragt, ob sie die Deckungssumme ihrer Lebensversicherung von 250.000 Dollar auf 500.000 Dollar erhöhen wollen – mit einem einfachen Klick kann die Familie den Vertrag akzeptieren. Nichols zweifelt, ob die Unternehmen fähig sind, solche Nutzererwartungen zu erfüllen.

Vertrieb funktioniert bei den Versicherungsgesellschaften traditionell „offline“: Kundenansprache und Vermittlung findet im persönlichen Gespräch, vielleicht noch via Telefon statt. Über 60 Prozent der europäischen Versicherer mussten in einer aktuellen Studie der Accenture Schweiz zugeben, bislang keine oder nur unzureichende digitale Vertriebskanäle zu pflegen bzw. digitale Vertriebsstrategien zu verfolgen. Manövriert sich die Branche damit selbst ins Aus? Die Player krempeln den Vertrieb um – Stellen sich Versicherer darauf ein?

Die digitalen Vertriebsaktivitäten und -wege haben Google, eBay, Amazon & Co mehr oder weniger erfunden, ja perfektioniert. „Hier spielt die Angebotsbreite der o.?g. Player eine Rolle“, meint Ferdinand Kuhnen. „So ist Google bei den Kommunikationswegen (Kontakte über Suchmaschinen) der deutschen Versicherer in den Markt nicht mehr wegzudenken. Wenn zu diesen Playern auch die Vergleichsportale zählen, haben sie eine große Bedeutung besonders für Versicherer, die sich im Preiswettbewerb orientieren.“ Konzepte, wie sich Provinzial Rheinland selbst darauf einstellt, bleiben eher allgemeiner Natur: „Wir beobachten sehr aktiv den Markt und stellen uns durch eigene Onlinemaßnahmen für die Kunden auf.“

Ralf Wechsler weiß, dass man Kunden derzeit noch einige Vorzüge bietet und sich von den Global-Playern etwas abheben kann: „Vertrieblich erleben wir bei Versicherungen aktuell noch den RoPo-Effekt (research online – purchase offline). Das heißt, der Kunde sucht sich Informationen online, kauft aber weiterhin offline bei seinem bekannten Versicherungsvermittler. Echte Onlineabschlüsse gibt es zurzeit nur im Commodity Geschäft (z. B. Kfz oder PHV). Das beratungsintensive Versicherungsgeschäft – wie beispielsweise Altersvorsorgeprodukte – sollte aus unserer Sicht auch weiterhin persönlich betrieben werden. Hier bestehen bereits heute schon gute Möglichkeiten, diese persönliche Beratung digital zu unterstützen. Wir stellen uns somit vertrieblich darauf ein, nicht nur Prozesse, sondern auch unsere Kundenkontaktpunkte digital zu optimieren.“

Ebenso ist sich Wechsler bewusst, dass man von den Internetfirmen einiges lernen kann: „Ein weiterer Punkt ist schließlich die effiziente Nutzung unseres Datenhaushaltes, wobei wir viel von den oben genannten Unternehmen lernen können. Letztendlich bringt der Übergang in die „neue Welt“ einen massiven Wandel mit sich. Dieser muss gut überlegt, logisch geplant und in allen Unternehmensbereichen schrittweise eingeführt werden.“

Wie soll die Versicherungsbranche mit den digitalen Vorreitern umgehen?

Für Vergleichsportale ist Google bereits eine harte Konkurrenz. Der Dienst „Google Compare“, ein Vergleichsportal für Kfz-Versicherungen, könnte nach Deutschland kommen. Ivana Höltring, Geschäftsführerin des deutschen Marktführers für Vergleichssoftware in der Kfz-Versicherung NAFI, erklärte in einem Versicherungsbote-Interview, dass es für kleine Unternehmen dennoch Vorteile gibt. „Die „Kleinen“ haben den Vorteil, dass sie sich nicht zu schade sind, „Nischen“ zu füllen und Dienstleistungen auch dann zu erbringen, wo sich das für die „Großen“ nicht lohnt“, so Höltring.

Doch kann man sich nicht ständig behaupten: „Gerade in der IT-Branche und insbesondere im Bezug auf das Internet wird es aber für die „Kleinen“ immer schwieriger zu bestehen. Die heutige Mentalität „im Internet ist alles umsonst“ ist weit verbreitet. Die Kosten der Software und Hardware, die rasante Entwicklung der Technik, auf die man reagieren muss, gesetzliche Auflagen zu Datensicherheit und immer wieder die Gefahr, dass die ganz Großen nur ein wenig mehr Geld in die Hand nehmen müssen um einen zu vernichten, wenn sie das nur wollen – all das ist leider die Realität“, meint Höltring.

Möchten Versicherer die Internetgiganten nicht als Konkurrenz begreifen, bietet Google Kooperationsmodelle. Mit dem Projekt „Google Protect“ werden Nutzern Policen vorgeschlagen, die zur Lebenssituation passen. Beispielsweise nutzt man die Suchmaschine, um das nächste Urlaubsziel zu finden und schon blendet der Konzern Werbung für Reiserücktrittsversicherer ein. Laut Handelsblatt kooperiert bereits Axa mit Google. Der Haken: Wer nicht bei Google Protect mitspielt, könnte für die Nutzer von der Bildfläche verschwinden. „Wir brauchen paneuropäische Versicherungen, um gegen die Internetgiganten eine Chance zu haben“, schlägt Allianz-Chef Michael Diekmann im Handelsblatt vor.

Von anderen Branchen lernen

Vergleichs- und Bewertungsportale anderer Branchen mussten sich den Herausforderungen der Digitalisierung bereits stellen. Birgit Aust, Geschäftsführerin der Touristik Vertriebsgesellschaft (TVG), erkennt dabei Parallelen zur Versicherungsbranche: „Die Touristikveranstalter haben in den vergangenen Jahren zunächst nur zaghaft den e-commerce-Bereich vorangetrieben, aus Rücksicht auf den stationären Vertrieb, der mit mindestens 80 Prozent des Gesamtbuchungsaufkommens den größten Umsatzanteil ausmacht. Diese Vorgehensweise hat Portalen (expedia, opodo, ab-in-den-urlaub, etc.) die Möglichkeit gegeben im Online-Bereich die Vorherrschaft zu erreichen, da hier keine Bindung oder Verpflichtung an die Reisebüros bestand. Ähnlich wie in der Versicherungsbranche von einem Makler, werden hier alle Produkte angeboten. Jedoch mit einem gravierenden Unterschied für die teilnehmenden Veranstalter: Wenn die Provisionen nicht stimmen, werden die Produkte einfach nicht angezeigt und somit ist für den Kunden das Produkt nicht mehr sichtbar. Im stationären Vertrieb gelingt eine so konsequente Steuerung in der Regel nicht, da gerade bei den bekannten Großveranstaltern der Kundendruck zu groß ist.“

Birgit Aust hat „das Reisebüro der Zukunft“ entwickelt und erfolgreich an realen Standorten umgesetzt. Da gehen digitales und „reales“ Leben Hand in Hand – zum Beispiel ohne Kataloge, dafür multimedial. Sie sieht in diesem Modell auch Ansätze für Versicherungsagenturen: „Ich bin davon überzeugt, dass in der Versicherungsbranche die multimediale Welt ebenso eingesetzt werden kann wie in unseren Reisebüros. Gerade ein „trockenes Thema“ kann mit bewegten Bildern und Filmen ganz anders verkauft werden als in einem Text. Situationen oder Vorfälle sind aus meiner Sicht viel besser zu verdeutlichen und der Endverbraucher erkennt sich schneller wieder. Auch die Kundenbetreuung für den einzelnen Berater wäre aus meiner Sicht z.?B. durch eine Betreuungsapp sehr effektiv und hilfreich.“ Eine solche App könnte beispielsweise Erinnerungen zu Laufzeiten, Angebote von Umstellungen auf neue Tarife bzw. Anbieter, Geburtstagsgrüße, Einladung zu Kundenabenden, etc. unterstützen.

Für die Versicherungsbranche gibt es durchaus Chancen, weiterhin „oben“ zu rangieren – wenn sie sich entsprechend bemühen. Denn: „Solange die Versicherungsunternehmen nicht wissen, wie viele Kunden sie online gewinnen, wie viele Kunden sie durch negative Kommentare in den Bewertungsportalen verlieren oder wie viele Kunden sie indirekt durch an den Außendienst weitergeleitete Leads hinzu bekommen, wird das Internet für die Versicherungswirtschaft weiterhin nicht den Stellenwert erlangen, den dieser Vertriebskanal heute schon für viele andere Branchen hat“, mahnt Stefan Raake. Besonders in den Bereichen Verständlichkeit, Mitbestimmung und Benutzerfreundlichkeit gibt es leichte Spielbälle, die zur Führung verhelfen können.

*DE:BUG, Alles Werbung: Google gegen den Rest, 16.2.2009
** Studie der AMC Finanzmarkt GmbH und vom „Institut für Verständlichkeit“ Communication Lab: Verständlichkeit in der Assekuranz, 2. Auflage 2013. Eine 3. Neuauflage war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung für Dezember 2014 geplant. Dann stehen FAQ und E-Mail-Kommunikation der Versicherer im Fokus.

Text: Gemeinsames Themenspecial von AMC & Versicherungsbote, von Desirée Schubert, verantwortlich für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der AMC Finanzmarkt GmbH und Hanna Behn, Redaktion Versicherungsbote. Dieser Beitrag stammt aus dem Versicherungsbote Fachmagazin vom 28. Oktober 2014.